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Spracherwerb

Sprache als die vielleicht wichtigste einzigartig menschliche Fähigkeit ist ein zentrales Thema der Abteilung. Wir widmeten uns hauptsächlich der Erforschung von Prozessen, durch die Kinder Sprache als eine Funktion ihrer sozialkognitiven Fähigkeiten im Umgang mit versierten Sprechenden lernen. Wichtig war dabei auch, wie Kinder bereits erworbene Ausdrucksmöglichkeiten durch immer komplexere linguistische Formen ergänzen und erweitern.

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Unsere Forschung fand sowohl in Leipzig als auch am Max Planck Child Study Centre in Manchester (Großbritannien), statt. An beiden Orten setzten wir Beobachtungsstudien, experimentelle Untersuchungen und Computermodelle ein. Ein sehr wichtiger Aspekt unserer Arbeit war das Erstellen umfassender Datenbanken mit den Sprachäußerungen von Kindern und ihren Gesprächspartner:innen. Die meisten der bislang genutzten Datenbanken decken schätzungsweise etwa 2% der Zeit ab, die ein Kind am Tag wach ist. Dies kann je nach zu untersuchendem Phänomen zu großen Problemen bei der Stichprobenerhebung führen. Wir schätzen, dass wir diesen Anteil in unseren neuen Korpora auf 7-15% erhöht haben – je nachdem, wie die Aufnahme konkret stattfand.

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Gemeinsame Themen: „Bekanntes“ und „Neues“ kennzeichnen

Wie unsere Arbeit auf dem Gebiet der sozialen Kognition beim Menschen gezeigt hat, bringen Kinder schon recht fortgeschrittene sozialkognitive Fähigkeiten zum Spracherwerb mit. Kinder können unterscheiden, was für ihren Kommunikationspartner:in bekannt oder neu ist und Zeigegesten zur Konkretisierung nutzen. Sie müssen diese Fähigkeiten jedoch auch anwenden, um die kommunikative Absicht von Sprechenden zu verstehen und um zu lernen, wie man Sprache üblicherweise nutzt, um andere zu informieren.

Wir gehen der Frage nach, wann Kinder in ihren Äußerungen erfolgreich „Bekanntes“ und „Neues“ kennzeichnen können und wie dies durch gemeinsame visuelle und sprachliche Perspektiven mit dem Kommunikationspartner:in beeinflusst wird. In einer Reihe von Studien konnten wir zeigen, dass Zweijährige zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen visuellen oder sprachlichen Perspektive unterschiedliche Informationen geben. Klar ist dabei jedoch nicht, ob sie sich tatsächlich dem Zuhörenden anpassen und wie Kinder mit der Koordination von visuellem Kontext und vorherigem Diskurs umgehen. Um diese Faktoren zu untersuchen, beobachten wir einerseits, unter welchen Umständen Kinder ein Pronomen anstelle einer vollständig beschreibenden Nominalphrase benutzen, und andererseits, was sie in ihren Antworten auf Fragen erwähnen oder unerwähnt lassen.

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Gemeinsame Bezüge: Wie man mit Sprache konkretisiert

Bei Studien zum Wortlernen haben wir die enge wechselseitige Beziehung zwischen pragmatischen Referenzhinweisen und eher semantischen Hinweisen, wie zum Beispiel lexikalischem Kontrast, aufzeigen können. Derzeit untersuchen wir, wie Kinder die Namen von Objekten in Abhängigkeit von Zeigegesten, Betonungsmustern, der Bekanntheit des Bezugsobjekts und dem Abstraktionsgrad der Objektbeschreibung erlernen.

In einer Reihe von Studien untersuchen wir außerdem, wie sich der Gebrauch von Bestimmungswörtern (z.B. ein vs. der) und die Verwendung von Adjektiven zum Beschreiben von Objekten bei Kindern entwickelt. Komplexere Strukturen zur Bezugnahme auf andere Einheiten als Gegenstände werden ebenfalls untersucht, zum Beispiel verschiedene Frageformen, das Verständnis von Kindern von Worten wie „nochmal“ und „auch“ und Relativsätze. In einer Trainingsstudie haben wir gezeigt, dass Kinder lernen können, mehr informative Referenzausdrücke zu verwenden. Sie sind jedoch weit erfolgreicher, wenn sie dabei selbst sprechen und nicht nur zuhören - was vermuten lässt, dass sich Sprache am besten durch ihren aktiven Gebrauch erlernen lässt.

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Gemeinsame sprachliche Konventionen: Dinge so sagen, wie andere es tun

Kinder müssen lernen, wie ihre Sprache “funktioniert”, ohne dass man es ihnen ausdrücklich sagt. Der usage based Ansatz legt nahe, dass Kinder dies tun, indem sie zuerst „Bruchstücke von Sprache“ lernen, mit denen sie kommunizieren. Sobald Kinder eine Reihe dieser Bruchstücke gelernt haben, beginnen sie, diese in produktive Muster aufzuteilen, in denen es je nach Sprache Lücken (slots) für ganze Wörter oder Flexionen gibt. Im weiteren Verlauf dieses Prozesses lernen Kinder, die einzelnen Teile der gehörten Sprache zu identifizieren und ihnen Bedeutungen zuzuordnen. Dadurch können Kinder schon sehr früh äußerst produktiv mit Sprache umgehen. Wir untersuchen den Umfang dieser Produktivität und wie diese sich mit der weiteren Entwicklung des Kindes ändert. Bei Studien, in denen wir neue Äußerungen Englisch sprechender Kinder zu vorher Gehörtem oder Gesagtem „zurückverfolgen“ haben wir Folgendes feststellen können: die Äußerungen Zweijähriger sind oftmals exakte Wiederholungen von zuvor Gesagtem oder bestehen aus oder einfachen, aber produktiven „slot-and-frame“-Mustern, bei denen die Produktivität hauptsächlich darin besteht, eine Lücke in einem bestimmten Schema mit einem „Gegenstandswort“ zu besetzen. In der weiteren Entwicklung der Kinder verändert sich sowohl die Komplexität der Nominalphrasen, mit denen die slots gefüllt werden, als auch deren semantische Bandbreite. In einer Umkehrvariante dieser Studie haben wir eine wortspezifische grammatische Form aus dem Datensatz des jeweiligen Kindes extrahiert und später beobachtet, wie gut sich die neuen Äußerungen des Kindes vorhersagen lassen. Dabei stellten wir fest, dass die Grammatiken, die aus den Daten der Zweijährigen erstellt wurden, viel weniger komplex waren als diejenigen, die auf den Daten der Dreijährigen basierten. Ebenso fanden wir Unterschiede beim Einfügen einer „Nomen“- oder „Verb“-Kategorie: bei Zweijährigen führte nur die Nomenkategorie zu einer Steigerung der Sprachkompetenz, während Dreijährige zusätzlich von der Einführung einer Verbkategorie profitierten.

Weiterhin führen wir eine Serie von Studien zu gemischten Äußerungen zweisprachig aufwachsender Kinder (Deutsch-Englisch) durch: diese stellen eine große Herausforderung für fast alle Theorien dar, da das Kind die sprachlich gemischten Äußerungen höchstwahrscheinlich nicht vorher gehört hat. Wir untersuchen die Art der zugrunde liegenden Repräsentation, die solch gemischten Äußerungen hervorrufen kann.

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Die Sprache, die Kinder hören

Ein zentraler Punkt unserer Studien ist eine Analyse der Sprache, die Kinder tatsächlich hören. In fast allen Fällen haben wir enge, wenngleich manchmal komplexe Verbindungen zur Sprachentwicklung des Kindes festgestellt. Wir sind dabei, frühere Forschungen zum Thema Spracherwerb bei Kindern auf andere Kommunikationssituationen und Sprachen auszuweiten. In einer Vergleichsstudie zur child directed speech im Russischen, Deutschen und Englischen (mit Sabine Stoll in der Abteilung für Linguistik) konnten wir zeigen, dass die ersten Reihen von Äußerungen gegenüber Kindern in allen drei Sprachen besonders häufig wiederholt wurden. Gleichzeitig stellten wir jedoch auch fest, dass typologische Unterschiede zwischen den Sprachen Auswirkungen auf die Wiederholungsrate haben – wenn auch nicht in dem Ausmaß, das bei einer rein grammatikalischen Erklärung der Sprachstruktur erwartet werden könnte. Ebenfalls mit Sabine Stoll untersuchen wir Kommunikationssituationen, in denen Kinder einer traditionellen, ländlichen Gesellschaft (in Ost-Nepal) zu sprechen lernen.

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Flexionsmorphologie

Auch wenn sich der bei weitem größte Teil der Forschung zum Thema Sprachentwicklung auf das Englische konzentriert hat, ist Englisch keine sehr typische Weltsprache, da es einen sehr strengen Satzbau und eine wenig flektierende Morphologie besitzt. Wir wollen sehen, wie Kinder, die Sprachen mit sehr viel komplexeren Flexionssystemen erwerben, diese Strukturen zu meistern lernen. Unser Hauptinteresse gilt dabei der polnischen Nomendeklination, die eine Vielzahl von Flexionsformen aufweist. Hinzu kommen eine umfangreiche Allomorphie und ein komplexe Reihe von Faktoren, welche die Wahl der Endung bestimmen. In einer Serie von Studien mit Kunstnomen (einige davon mit Ewa Dabrowska) haben wir eindeutige Entwicklungsschritte aufzeigen können. So sind Dreieinhalbjährige in der Lage, einen bestimmten Fall auf verschiedene grammatikalische Geschlechter zu übertragen, Vierjährige können jedoch ein Nomen, das in einem bestimmten Fall präsentiert wird, bei weitem nicht immer in einen anderen Fall umformen. Gemeinsam mit Sabine Stoll untersuchen wir auch, wie Kindern die noch komplexere Morphologie einer stark polysynthetischen Sprache lernen.

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Syntaktische Konstruktionen

Verschiedene Sprachen enthalten unterschiedliche Hinweise, die helfen, Subjekte und Objekte in Sätzen zu identifizieren. In einer Serie von Studien zum Verständnis von Transitivkonstruktionen im Englischen, Deutschen, Französischen und Kantonesischen haben wir gezeigt, dass Kinder zunächst den Prototyp für eine bestimmte Sprache verstehen und später lernen, individuelle Hinweise auf grammatische Einheiten auch dann zu nutzen, wenn sie nicht in typischen Äußerungen auftauchen (z.B. in Verbindung mit Kunstverben, unbelebten Subjekten, oder wenn Kasusmarkierung und Wortfolge im Widerspruch stehen).

Unsere Ergebnisse zeigen eine große Übereinstimmung zwischen der Verfügbarkeit und der Zuverlässigkeit verschiedener Hinweise in den Äußerungen, die Kinder hören. Zurzeit führen wir eine ähnliche Studie im Polnischen durch. Die Idee eines „Prototypen“ mit einer Vielzahl von interagierenden Hinweisen wird auch genutzt, um die Entwicklung des Verständnisses für Ditransitiv-, Passiv und Relativsatzkonstruktionen bei Englisch und Kantonesisch sprechenden Kindern zu untersuchen. Relativ- und Komplementsätze werden sowohl im Englischen als auch im Deutschen stark von Prototypen beeinflusst: erste komplexe Sätze basieren auf früher gelernten einfachen Konstruktionen (im Falle von Relativsätzen) und besonders häufig vorkommenden Verben (im Falle von Komplementsätzen). Eine zweite Serie von Studien legt nahe, dass der sprachliche Input starke Auswirkungen hat - sowohl auf Fehlerraten als auch auf die frühe Produktionsphase einiger Komplementstrukturen. Weiterhin untersuchen wir den Beitrag prosodischer Strukturen zum frühen Verständnis von Konstruktionen bei Kindern – ein bislang kaum erforschter Bereich, von dem wir glauben, dass er Kindern entscheidend dabei hilft, bestimmte Konstruktionen zu identifizieren.

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Komplexer Satzbau für rekursives Gedankenlesen/Erkennen geistiger Zustände

Komplexerer Satzbau erlaubt es den Sprechenden, Themen hervorzuheben oder sie in den Hintergrund zu rücken, Ereignisse in komplexe Zeitrahmen einzubetten, Gemütsverfassungen mitzuteilen und Aspekte des von Grice beschriebenen „Kooperationsprinzips“ zu manipulieren. Mithilfe des derzeit vollständigsten Tagebuches zur Entwicklung des komplexen Satzbaus eines Kindes (dem Braunwald-Tagebuch) führen wir eine mikroanalytische Studie zur Entwicklung verschiedener Konstruktionen durch. Eine Analyse der ersten finiten Komplementstrukturen dieses Kindes zeigt, dass jeder Hauptsatz für eine spezifische intersubjektive Funktion genutzt wird (Ich möchte X; Du weißt, was X) und ihm eine Art Proposition folgt. Diese beiden Teile sind jedoch nicht vollständig miteinander koordiniert - weder syntaktisch noch semantisch. Nun untersuchen wir experimentell das Verständnis von Kindern für diese Koordination und für die gesamte Bandbreite der möglichen Bedeutungen im Hauptsatz.