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50 Jahre “Quantitative Cultural Evolution”!

Sonderausgabe beleuchtet Ursprünge, Entwicklung und Zukunft eines multidisziplinären Forschungsfeldes

Die Fachzeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) der US-amerikanischen National Academy of Sciences würdigt das 50-jährige Bestehen des Forschungsfeldes “Quantitative Cultural Evolution” mit einer Sonderausgabe, die unter Beteiligung von Forschenden der Abteilung für Verhalten, Ökologie und Kultur des Menschen am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig organisiert und verfasst wurde. Marcus W. Feldman, der diese junge, aber einflussreiche Disziplin 1973 gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Luigi Luca Cavalli-Sforza begründete, gehört ebenfalls zu den Organisatoren und Autoren der Sonderausgabe.

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© Ronny Barr, MPI für evolutionäre Anthropologie

In diesem Jahr feiert das Forschungsfeld “Quantitative Cultural Evolution“, das sich mit der Frage beschäftigt, wie menschliche Kultur und Evolution interagieren, sein 50-jähriges Bestehen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieser Disziplin werden in der neuen PNAS-Sonderausgabe "Half a Century of Quantitative Cultural Evolution“ beleuchtet, die von Laurel Fogarty (MPI-EVA), Nicole Creanza (Vanderbilt University), Anne Kandler (MPI-EVA) und Marcus W. Feldman (Stanford University) zusammengestellt wurde. Darin betonen die Forschenden, dass Kultur für die menschliche Evolution ebenso grundlegend ist wie die Biologie – eine Erkenntnis, die bereits von frühen Vertretern der Evolutionstheorie vertreten und später von den Stanford-Genetikern Luigi Luca Cavalli-Sforza und Marcus W. Feldman formalisiert wurde.

Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Cavalli-Sforza und Feldman führte zu den ersten mathematischen Modellen der kulturellen Evolution, welche das Verständnis und die Erforschung der menschlichen Evolution nachhaltig beeinflusst haben. „Ihre Arbeit hat gezeigt, dass die Vererbung kultureller Merkmale letztlich den menschlichen Phänotyp prägen kann. Diese Wechselwirkung zwischen Genen und Kultur hat wesentlich zu unserem Verständnis der menschlichen Evolution beigetragen“, sagt Laurel Fogarty.

Im Jahr 1973 veröffentlichten Cavalli-Sforza und Feldman zwei Modelle, welche verschiedene Arten der Übertragung kultureller Informationen beschreiben: die vertikale Übertragung (z. B. durch die Eltern) und die horizontale Übertragung (z. B. durch Lehrkräfte). Diese Beschreibung ermöglichte ein besseres Verständnis von komplexen Verwandtschaftsbeziehungen und des Verhältnisses zwischen genetischen und kulturellen Einflüssen. „Diese Modelle haben die komplexe Dynamik des kulturellen und genetischen Wandels aufgezeigt und ein neues Forschungsgebiet innerhalb der menschlichen Evolution eröffnet“, sagt Nicole Creanza.

Weitreichende Implikationen für andere Forschungsbereiche

Die Sonderausgabe würdigt auch die Beiträge von Wissenschaftlern wie dem Anthropologen Robert Boyd und dem Humanökologen Peter J. Richerson, deren Arbeiten den theoretischen Rahmen der Kulturevolutionsforschung entscheidend erweitert haben. Darüber hinaus enthält die Sonderausgabe auch eine Reihe von Artikeln, die sich mit den weitreichenden Implikationen der Kulturevolutionsforschung für eine Vielzahl von Disziplinen befassen, darunter Anthropologie, Archäologie, Sozialwissenschaften, Linguistik, soziales Lernen bei nichtmenschlichen Tieren und Laborforschung.

Eine Sammlung von Artikeln skizziert die Entwicklungen und Fortschritte der “Quantitative Cultural Evolution” seit 1973.

  • Eine Studie untersucht die Übertragung und Erhaltung kultureller Fähigkeiten bei Jägern und Sammlern im Kongobecken und in anderen Regionen. Sie basiert auf einer Analyse von veröffentlichten Interviews und Beobachtungsdaten, die die Rolle von Eltern, Verwandten und nicht verwandten Personen bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen beleuchtet. (Hewlett et al.)
  • Anhand von genetischen, linguistischen und ethnographischen Daten von 130 Populationen weltweit, wurde untersucht, ob Sprache hauptsächlich über die mütterliche oder die väterliche Linie weitergegeben wird. Geschlechtsspezifische Faktoren und heiratsabhängige Residenzregeln scheinen die Sprachübertragung in einigen Regionen, insbesondere in Afrika, zu beeinflussen. (Pichkar et al.)
  • Die mathematische Modellierung der Rolle von kulturellen Innovationen und Praktiken bei der ungewollten Entstehung von Krankheitserregern steht im Mittelpunkt einer weiteren  Studie. Dabei werden die Bedeutung von Adoptionsraten und die Auswirkungen kultureller Praktiken auf die biologische Fitness hervorgehoben. Der Studie zufolge ist die Entstehung von Krankheiten aufgrund dieser Faktoren häufig unvorhersehbar und unvermeidbar. (Pooladvand et al.)
  • Feldstudien mit zwei Gruppen wildlebender, werkzeugbenutzender Bartkapuzineraffen (Sapajus libidinosus) in Brasilien zeigen, dass soziales Lernen bei der Futtersuche durch die Toleranz gegenüber Artgenossen und die Tendenz, erfahrene Männchen zu beobachten, beeinflusst wird. Diese Ergebnisse können Aufschluss über die Evolution kultureller Fähigkeiten bei Primaten geben. (Galheigo Coelho et al.)

Die in dieser Sonderausgabe enthaltenen Artikel bieten einen umfassenden Überblick über die Fortschritte und Herausforderungen bei der Erforschung der “Quantitative Cultural Evolution”.

Ein Blick in die Zukunft

Die Aussichten für die nächsten 50 Jahre des Forschungsfeldes "Quantitative Cultural Evolution“ sind vielversprechend, mit neuen mathematischen Erkenntnissen, verbesserten statistischen Analysen und Fortschritten in der Rechenleistung und Datenverfügbarkeit. „Nachdem in den letzten fünf Jahrzehnten der Schwerpunkt auf der quantitativen Erforschung kultureller Prozesse lag, werden in Zukunft Simulationsmodelle und retrospektive Analysen eine Schlüsselrolle bei der Verknüpfung von Theorie und Daten in der kulturellen Evolution spielen“, prognostiziert Anne Kandler.

Das 50-jährige Jubiläum steht nicht nur für den Erfolg und die stetige Zunahme quantitativer Studien zur kulturellen Evolution, sondern auch für die spannende Reise, die noch vor uns liegt. Mit weiteren Fortschritten in Theorie und Methodik werden die nächsten 50 Jahre entscheidend dazu beitragen, unser Verständnis von Kultur zu vertiefen und ein kohärenteres Bild der menschlichen Evolution zu zeichnen.
 

Kontakt:

Dr. Laurel Fogarty
Gruppenleiterin, "Theory in Cultural Evolution (TICE) Lab"
Abteilung für Verhalten, Ökologie und Kultur des Menschen
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
laurel_fogarty@[>>> Please remove the text! <<<]eva.mpg.de

Sandra Jacob
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 341 3550-122
jacob@[>>> Please remove the text! <<<]eva.mpg.de